• Nina Hartmann
  • 23.04.2024

Wegzugsbesteuerung

Die Wegzugsbesteuerung ist eine Bremse der Internationalisierung deutscher Unternehmen und Gesellschafter.

Wegzugsbesteuerung

Wegzugsbesteuerung

Die großen deutschen Familienunternehmen investieren weltweit und produzieren global. Hieraus kann sich die Notwendigkeit ergeben, dass ein Familienmitglied längere Zeit an einem ausländischen Standort tätig ist. Hinzukommen können Studienaufenthalte oder andere Gründe für einen zeitweisen oder dauerhaften Wegzug aus Deutschland.

Die Wegzugsbesteuerung trifft Eigentümer von Kapitalgesellschaftsanteilen. Sie entsteht hauptsächlich dann, wenn Anteilseigner ihren Wohnsitz in Deutschland aufgeben. Der dahinterstehende Gedanke ist, dass dem deutschen Fiskus der steuerliche Zugriff auf diejenigen stillen Reserven gesichert werden soll, die bis zum Wegzug des Anteilseigners, also während seiner – insbesondere an den Wohnsitz anknüpfenden – sogenannten unbeschränkten Steuerpflicht entstanden sind.

Die deutsche Wegzugsbesteuerung ist im Vergleich zu ausländischen Regelungen sehr rigide. Es stellen sich insoweit auch europa– und verfassungsrechtliche Fragen. Viele Staaten – wie zum Beispiel die Schweiz – kennen keine Wegzugsbesteuerung. Verankert ist die Wegzugsbesteuerung in § 6 des Außensteuergesetzes, der an Regelungen des Einkommensteuergesetzes, der Abgabenordnung und des internationalen Steuerrechts anknüpft.

1    Voraussetzungen für das Entstehen der Wegzugsbesteuerung

 1.1         Kapitalgesellschaftsanteile

Die Wegzugsbesteuerung wird nur dann relevant, wenn der Steuerpflichtige in den letzten fünf Jahren am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens einem Prozent beteiligt war.

  • 6 des Außensteuergesetzes knüpft insoweit an die im Inland geltende Besteuerung der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen § 17 Absatz 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes an. Zur Zeit der Entstehung des Außensteuergesetzes, das 1972 in Kraft trat, unterwarf § 17 Absatz 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes allerdings nur solche Fälle der Besteuerung, in denen der Kapitalgesellschaftsanteil mindestens 25 % betrug. Die Schwelle ist jedoch im Zuge von Steuerverschärfungen auf nunmehr ein Prozent abgesenkt worden.

Besondere Fragen kann die sogenannte mittelbare Beteiligung an Kapitalgesellschaften aufwerfen. Sie führt nicht zur wegzugsteuerlichen Belastung, wenn der Wegzügler an einer originär gewerblich tätigen Personengesellschaft beteiligt ist, die die Anteile als eigenes, mit dem Gewerbebetrieb verknüpftes Betriebsvermögen hält.

1.2         Persönliche Voraussetzungen

Persönlich betroffen sind diejenigen, die von § 6 des Außensteuergesetzes als unbeschränkt Steuerpflichtige bezeichnet werden. Das sind, wie sich aus § 1 des Einkommensteuergesetzes in Verbindung mit den §§ 8 und 9 der Abgabenordnung ergibt, die bis zu dem hier als Wegzug bezeichneten Ereignis in Deutschland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatten.

In zeitlicher Hinsicht setzt § 6 des Außensteuergesetzes voraus, dass die unbeschränkte Steuerpflicht innerhalb der zwölf vorausgehenden Jahre mindestens sieben Jahre lang bestanden hat.

1.3.        Aufgabe des Wohnsitzes und gleichgestellte Tatbestände

Der Gesetzgeber knüpft die Wegzugsbesteuerung nicht allein an die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht durch die Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts. Alternativ kann die Wegzugsbesteuerung auch dadurch ausgelöst werden, dass die Kapitalgesellschaftsanteile unentgeltlich auf einen nicht unbeschränkt Steuerpflichtigen, beispielsweise ein im Ausland lebendes Kind, übertragen werden. Zu alledem kann auch der Abschluss oder die Änderung eines Doppelbesteuerungsabkommens durch die Bundesrepublik die Wegzugsbesteuerung auslösen, wenn dadurch das Besteuerungsrecht an (ausländischen) Kapitalgesellschaftsanteilen auf den anderen Staat übergeht oder auch nur der steuerliche Zugriff der Bundesrepublik Deutschland beschränkt wird, obwohl der Steuerpflichtige hierauf keinen Einfluss hat.

2    Rückkehrregelung

Der in Abschnitt 1. beschriebene Steueranspruch der Bundesrepublik Deutschland entfällt, wenn der Wegzügler innerhalb von sieben Jahren wieder in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig wird. Das im Zeitpunkt des Wegzuges zuständige Finanzamt, kann die Siebenjahresfrist auf Antrag des Wegzüglers einmal um fünf Jahre verlängern. Nach Ablauf von zwölf Jahren ist der Wegfall der Wegzugsteuer ausgeschlossen.

Der Anspruch der Bundesrepublik Deutschland entfällt jedoch nicht in allen Fällen, sondern nur, wenn aus Sicht des Gesetzgebers die folgenden Bedingungen eingehalten sind:

  1. Die Anteile wurden in der Zwischenzeit weder veräußert, übertragen noch in ein Betriebsvermögen eingelegt.
  2. Die Summe aus Gewinneinlagen und Einlagenrückgewähr hat maximal 25 Prozent des gemeinen Wertes der Anteile betragen.
  3. Insbesondere im Hinblick auf sich verändernde Doppelbesteuerungsabkommen muss sichergestellt sein, dass Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland mindestens in dem Umfang wieder begründet wird, in dem es im Zeitpunkt der Beendigung der Steuerpflicht bestand.

3    Zahlungsmodalitäten bei Wegzug

 3.1   Vorübergehende Abwesenheit

In Fällen der vorübergehenden Abwesenheit, wie sie oben in Abschnitt 2 beschrieben worden sind, kann der Steuerpflichtige beantragen, dass für den vom Finanzamt zugestandenen Zeitraum keine Zahlungen zu leisten sind.

 

  • Endgültiger Wegzug
    • Sofortige Zahlung in voller Höhe

Grundsätzlich wird die volle Steuer fällig, sobald der den Wegzug umfassende Einkommensteuerbescheid ergeht.

  • Ratenzahlung auf Antrag

Während § 17 des Einkommensteuergesetzes einen echten Veräußerungsvorgang und damit die Realisation der in den Kapitalgesellschaftsanteilen vorhandenen stillen Reserven voraussetzt, schafft der daran anknüpfende § 6 des Außensteuergesetzes einen Steuertatbestand, der auf eine tatsächliche Realisierung der stillen Reserven und auf jeglichen Liquiditätszufluss verzichtet.

Zur Abmilderung dieser besonderen Belastung kann der Steuerpflichtige lediglich beantragen, dass die zu zahlende Steuer auf sieben gleiche Jahresraten verteilt wird. Das Außensteuergesetz formuliert, dass dem Antrag in der Regel nur gegen Sicherheitsleistung stattzugeben sei. Die Höhe der Steuerschuld sowie der daraus resultierende Umfang und die entsprechenden Kosten der Sicherheitsleistung können – je nach Konstellation – ein unüberwindliches Wegzugshindernis darstellen.

Wird dem Antrag auf Entrichtung der Steuer in sieben gleichen Jahresraten stattgegeben, so ist die erste Jahresrate innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Steuerbescheids zu entrichten. Die übrigen Jahresraten sind jeweils am 31. Juli der Folgejahre fällig. Die jeweils noch offene Steuerschuld bleibt unverzinst.

Die Gewährung der Ratenzahlung ist von Gesetzes wegen hinfällig,

  1. wenn die Jahresrate nicht fristgemäß entrichtet wird,
  2. wenn der Steuerpflichtige eine im Gesetz vorgesehene Mitteilungspflicht verletzt,
  3. wenn der Steuerpflichtige Insolvenz anmeldet,
  4. soweit die Anteile veräußert oder übertragen werden,
  5. soweit der gemeine Wert von Gewinnausschüttungen oder rückgewährten Einlagen insgesamt mehr als ein Viertel des Wertes der der Wegzugsbesteuerung unterliegenden Anteile ausmacht.

Die Fallbeilwirkung, die darin besteht, dass schon geringe Versäumnisse dazu führen, dass die noch ausstehenden Raten sofort und vollumfänglich zu zahlen sind, dürfte in vielen Fällen unverhältnismäßig sein.

Mitteilungspflichten des Steuerpflichtigen bestehen

  1. hinsichtlich der Anmeldung der Insolvenz,
  2. hinsichtlich der Veräußerung oder Übertragung von Anteilen, auf die sich die Ratenzahlung bezieht,
  3. über Gewinnausschüttungen und die Rückgewähr von Einlagen, wenn deren Wert insgesamt mehr als ein Viertel des Wertes der Anteile, auf die sich die Ratenzahlung bezieht, ausmacht,
  4. in der Verpflichtung, jährlich bis zum 31. Juli schriftlich seine aktuelle Anschrift mitzuteilen und zu bestätigen, dass die Anteile ihm oder einem Rechtsnachfolger, auf den die Anteile unentgeltlich übertragen worden sind, gehören.

4    Kritik

 4.1   Widerspruch zu europarechtlichen Grundfreiheiten

Die Wegzugsbesteuerung steht im Konflikt zu den europarechtlichen Grundfreiheiten. Die Europäischen Verträge garantieren den Bürgern der Europäischen Union die Dienstleistungsverkehrsfreiheit, die Kapitalverkehrsfreiheit, die Personenverkehrsfreiheit (auch in der Form der Niederlassungsfreiheit) und die Warenverkehrsfreiheit.

Eine europarechtswidrige Diskriminierung liegt grundsätzlich immer dann vor, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt schlechter behandelt wird als ein vergleichbarer rein nationaler Sachverhalt. Eine solche Situation ist in den von § 6 des Außensteuergesetzes erfassten Fällen der Wegzugsbesteuerung offensichtlich gegeben, denn die jeweiligen Sachverhalte würden, wenn sie rein inländische wären, keine der Veräußerungsgewinnbesteuerung vergleichbare Besteuerung auslösen. Einschlägig sind insoweit insbesondere die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit.

4.2   Mangelnde Rechtfertigung

Es ist ausgesprochen zweifelhaft, ob die den Steuerpflichtigen auf Antrag zur Verfügung stehende Ratenzahlungsoption ausreicht, um den Widerspruch zu den Europäischen Grundfreiheiten aufzulösen. Maßstab ist, dass es keinen Unterschied machen darf, ob sich Bürger im Inland bewegen oder Grenzen innerhalb der Europäischen Union überschreiten. Einschränkungen sind nur zulässig, wenn zwingende Gründe des Allgemeininteresses sie erfordern und sie diskriminierungsfrei durch geeignete Maßnahmen umgesetzt werden, die sich auf das Erforderliche beschränken.

Hinsichtlich der Wegzugsbesteuerung darf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Staaten grundsätzlich als zwingender Grund des Allgemeininteresses angesehen werden, der gegebenenfalls die erforderlichen Belastungen rechtfertigt. Hieraus folgt, dass dem Steuerpflichtigen nur diejenigen Belastungen auferlegt werden dürfen, die zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse unbedingt erforderlich sind.

In dem Verfahren Europäische Kommission vs. Portugiesische Republik hielt der Europäische Gerichtshof bereits einen Liquiditätsnachteil für einen nicht zu rechtfertigenden Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten.

4.3   Alternativvorschlag

Die Achillesferse der Wegzugsbesteuerung besteht darin, dass der Wegzugsstaat seine Ansprüche durchsetzen oder zumindest sichern möchte, während der Steuerpflichtige, die diesbezüglichen Wertsteigerungen noch nicht realisiert hat und ihm auch keine zusätzliche Liquidität zur Verfügung steht. Der Steuerpflichtige wird damit einer Belastung ausgesetzt, die praktisch nicht bestehen würde, wenn er im Inland und damit unbeschränkt steuerpflichtig bliebe (und auch keiner der Ersatztatbestände eingriffe). Er wird damit schlechter behandelt als im vergleichbaren Inlandsfall, der keinen vergleichbaren ertragsteuerlichen Zugriff auf nicht realisierte Wertsteigerungen kennt.

4.3.1      Minimierung der Belastung

Die europäischen Grundfreiheiten, insbesondere die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit verlangen, dass die Sicherung des Besteuerungsrechts des Wegzugsstaates auf die den Steuerpflichtigen am wenigsten belastende Art und Weise durchgesetzt wird. So wäre in Rechnung zu stellen, dass eine bloße Wertänderungsfeststellung gegenüber der Steuerfestsetzung – selbst wenn die Festsetzung mit einer Stundungsanordnung verbunden wird – die geringere Belastung darstellt. Soweit eine Wertänderungsfeststellung keine hinreichende Sicherung der Ansprüche des Wegzugsstaates vermittelt, erscheinen Stundungslösungen angebracht, die einen entsprechenden Interessenausgleich herbeiführen.

4.3.2.    Ampelmodell

Ein von Kudert/Hagemann/Kahlenberg vorgeschlagenes Ampelmodell würde nach der Wahrscheinlichkeit der späteren Durchsetzbarkeit des innerstaatlichen Steueranspruchs im Ausland unterscheiden. In den Fällen, in denen – wie innerhalb der EU, aber auch weit darüber hinaus – hinreichende Informations‑ und Amtshilfemöglichkeiten bestehen, würde ein Feststellungsbescheid über den Wert zum Zeitpunkt des Wegzuges ausreichen (die Ampel ist „grün“, die Steuer wird erst im Realisierungszeitpunkt festgesetzt). Hat die internationale Verwaltungszusammenarbeit nicht die erforderliche Qualität, wie sie für eine „grüne Ampel“ vorauszusetzen ist, wird die Steuer festgesetzt und ratierlich gestundet (die Ampel ist „gelb“). In Fällen fehlender Informations‑ und Amtshilfemöglichkeiten ist die Ampel „rot“ und die sofortige Besteuerung des Steuersubstrats legitim.

5             Zusammenfassung

Der steuerliche Standortwettbewerb zwischen den Staaten ist nicht nur eine Frage der Steuersätze. Vielmehr spielen Rechts- und Planungssicherheit sowohl im nationalen als auch im grenzüberschreitenden Rahmen eine bedeutende Rolle. Im Zuge der Globalisierung muss auch die internationale Bewegungsfreiheit der Anteilseigner von Kapitalgesellschaften in einer Art und Weise sichergestellt sein, die nicht zur wirtschaftlichen Unmöglichkeit von Wohnsitzverlagerungen ins Ausland führt.

Roland Franke ist Leiter Steuer- und Finanzpolitik der Stiftung Familienunternehmen und Politik. Die Stiftung Familienunternehmen und Politik widmet ihr Augenmerk den wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, unter denen Familienunternehmen in Deutschland und Europa operieren und diskutiert diese mit den politischen Akteuren. Weitere detaillierte Informationen unter: https://www.familienunternehmen-politik.de/